Die Mille Miglia war eines der bedeutendsten Straßenrennen und die Sieger wurden zu echten Helden auserkoren. Das verfügbare Buchmaterial zu dem Thema ist sehr vielfältig, aber der italienische Verlag Giorgio Nada Editore hat gemeinsam mit dem etablierten Autor Leonardo Acerbi eine Lücke entdeckt. Oft wird über die Rennen und die Abläufe währenddessen berichtet, aber mit Mille Miglia Portraits stehen nun die Menschen im speziellen Fokus. Ein durchaus interessanter Ansatz der einen neuen Blick auf das Straßenrennen wirft.
Das Buch hinterlässt schon beim ersten Betrachten einen nachhaltigen Eindruck. Neben dem beeindruckend großen Format, zeigt es sich auch mit einer beachtlichen Stärke und demzufolge auch stattlichen Gewicht. Somit ist es erstklassig als Coffee Table Book geeignet und lässt auf eine stimmige Umsetzung hoffen. Der Titel zeigt schon deutlich was den Leser erwartet und Kenner machen sofort einen Ferrari aus, in dem der italienische Rennfahrer Eugenio Castellotti auf dem Weg zum Start ist. Es ist die 24. und zweitletzte Veranstaltung dieser Art und mit dem 290 MM wird Castellotti am Ende als Sieger über die Ziellinie fahren. Beim ersten Blättern fällt ein zwar kleines aber durchaus interessante Foto auf, welches einen Teilnehmer fast aus der Fahrerperspektive kurz vor dem Auffahren auf die Startrampe zeigt. Wenig später gibt das Inhaltsverzeichnis dann schon konkrete Hinweis was den Leser erwartet. Das Vorwort vom Autor folgt nach einen beeindruckenden, doppelseitigen Aufnahme des Piazza della Vittori in Brescia der Start- und auch Zielpunkt der Rundfahrt durch Italien. Im Vorwort erläutert Acerbi dann wie er zum ersten das Archiv des italienischen Fotografen Alberto Sorlini begutachten konnte. Mit über 8.000 Aufnahme dokumentierte Sorlini die Mille Miglia aus einer besonderen Sicht. Von Renzo Castagneto hatte er die Arbeit als offizieller Fotograf der Mille Miglia erhalten, wobei vor allem die technische Abnahme und der Start im Vordergrund standen. So lassen sich viele Portraits der Rennfahrer aber auch der Crews entdecken, welche den Zeitgeist ungefiltert wiedergeben. Diesen Bilderschatz nutzte Acrebi als Grundlage zu seinem neues Buch über die Mille Miglia und griff textlich dazu noch auf zeitgenössische Berichte zurück um den wiedergegebenen Eindruck zu perfektionieren.
In den Jahren der ersten Ausgaben der Mille Migla war Sorlini noch nicht aktiv. So werden die Jahre vor dem ersten Weltkrieg von 1927 bis 1940 in einem vorgelagerten Kapitel zusammengefasst. Die Pioniere des Mille Miglia hatten aus heutigen Sicht nur rudimentäres Material zur Verfügung und scheuten trotzdem nicht die Anstrengungen eines 1.000 Meilen langen Straßenrennens. Auch hier zeigen sich fast ausschließlich Aufnahmen der Menschen und Automobile vor dem großen Rennen und schon einige bekannte Namen lassen sich dabei entdecken. Sei es Bingo Maserati der im Jahr 1927 auf einem Isotta Fraschini antrat oder Giuseppe Campari in einem Alfa Romeo im Jahr 1930. Diese und viele weitere Bilder geben einen guten Rückblick auf die Jahre vor dem verheerenden zweiten Weltkrieg und in dessen Folge nun aussetzenden Rennbetrieb. Zu jedem Bild kann der Leser in einer Bildunterschrift entsprechende Informationen zu Menschen und Maschinen erfahren und sich dadurch noch einen besseren Eindruck verschaffen. Alle Text sind zweisprachig in englisch und italienisch umgesetzt und geben dem Buch die Möglichkeit auch Freunde außerhalb Italiens gefallen zu können.
Dann beginnt das Herzstück des Buches unter den Titel The Postwar Champions. Alle Mille Miglias von 1947 bis 1957 werden hier betrachtet, aber die Vorstellung erfolgt nicht etwa in hierarischer Reihenfolge, sondern nach Fahrer. Der erste Champion der vorgestellt wird ist Alberto Ascari und die weiteren folgen in dann alphabetischer Reihenfolge. Zu jedem Fahrer gibt das Buch eine kurze Einleitung wieder, in der die Ergebnisse der persönlichen Mille Miglia-Laufbahn wiedergegeben werden. Dies erfolgt kurz und knapp aber gleichzeitig auch komplett. Zum Start präsentiert das Buch dazu passend vom Fahrer ein großformatige Aufnahme, die den Fahrer in den Mittelpunkt stellt. Dann folgt der schon angesprochene zeitgenössische Bericht, welcher im Falle von Ascari aus dem Jahr 1954 stammt und im Magazin Auto Italiana erscheinen ist. In jenen Jahr konnte Ascari das Rennen für sich entscheiden und war damit gleichzeitig der erste Solofahrer, der das Rennen alleine gewinnen konnte. Unterwegs war er auf einem Lancia D24. Dann folgen viele Aufnahmen die Ascari bei seinen Teilnahmen bei der Mille Miglia zeigen und immer wieder auch den Fahrer in den Mittelpunkt stellen. Natürlich werden auch seine verwendeten Automobile immer wieder gezeigt und auch einige wenige Fahraufnahmen lassen sich entdecken. Dazu auch Fotos von der Siegesfeier, die immer im Folgejahr vor dem Start der nächsten Mille Miglia stattfand. Eine erfreulich ungewöhnliche Mischung, die es dem Leser ermöglicht sehr nah beim Geschehen zu sein.
Es folgt dann Clemente Biondetti, der schon im Jahr 1938 seinen ersten Sieg bei der Mille Miglia feiern konnte und damals auf einen Alfa Romeo erfolgreich war. Auch die erste Veranstaltung nach dem Krieg im Jahr 1947 konnte Biondetti auf einem Alfa Romeo für sich entscheiden und auch in den folgenden zwei Jahren war es Biondetti der das Straßenrennen für sich entscheiden konnte. Mit seinen vier Siegen ist der Italiener der Fahrer mit den meisten Siegen bei der Mille Miglia und fuhr 1948 und 1949 jeweils auf einem Ferrari zum Sieg. Somit bescherte er der noch jungen Marke zwei sehr wichtige Siege, die auch mitverantwortlich sind für die sportliche Tradition in Maranello. Bei seinem letzten Erfolg war Biondetti sogar schon 50 Jahre alt und durch seine Erfahrung den jungen Rennfahrer augenscheinlich einen Schritt voraus.
Giovanni Bracco ist der nächste Sieger der im Mittelpunkt steht und zeigt ihn gleich zu Beginn auf einem tollen Foto von der Preisverleihung. Bracco im edlen Anzug mit einer Flasche Wein in der einen und einer Zigarette und der anderen Hand hat auf seinem Jacket schon erste Flecken. Die Preisverleihung war offensichtlich eine lustige Veranstaltung und die Fahrer genoßen ihren verdienten Ruhm in vollen Maßen. Auch hier ist der zeitgenössische Artikel aus dem Jahr seines Triumphes, nämlich 1952. Da konnte Bracco mit einen Ferrari 250S Berlinetta Vignale das Rennen für sich entscheiden und benötigte nur wenig länger als 12 Stunden. Auch die ebenfalls am Start zu findenden Mercedes-Benz 300 SL hatte gegen die italienische Kombination keine Chance, obwohl sie mit viel Hoffnung nach Brescia gereist waren. Keine fünf Minuten trennten Karl Kling auf dem 300 SL von damaligen Sieger.
Mit Rudolf Caracciola steht dann auch der erste deutsche Fahrer im Fokus und das Buch blickt zurück auf die Einsätze des Ausnahmefahrers der mit Mercedes-Benz viele Erfolge einfahren konnte. Sein einzigen Sieg bei der Mille Miglia gelang ihm schon vor dem Krieg im Jahr 1931 und trug sich als erster Nicht-Italiener in die Siegeslisten ein. Auch im Jahr 1952 kehrte Caracciola dann mit dem 300 SL und Mercedes-Benz zurück und wurde schließlich Vierter. Nur ein weiterer Deutscher konnte die Mille Miglia für sich entscheiden, im Jahr 1940 siegte Huschke von Haustein auf einem BMW 328 mit Touring-Karosserie. Das Straßenrennen war bis auf eine weitere Ausnahme in fester Hand der heimischen Italiener.
Folgerichtig folgt mit Eugenio Castellotti auch schon der nächste Italiener, der schon auf dem Titel des Buches zu finden war. Er stand im Jahr 1956 zum sechsten Mal in Folge am Start und war bis auf eine Ausnahme ausschließlich auf Ferrari unterwegs. Sein Einsatz in einem Lancia D24 endete im Jahr 1954 mit einem Ausfall wegen eines technischen Defekts. Nach seinem lang ersehnte Sieg im Jahr 1956 war es leider aber für ihn nicht mehr möglich an der Siegesfeier im Folgejahr teilzunehmen, da er bei Versuch den Rundenrekord auf der Ferrari-Hausstrecke zu brechen in der dritten Runden von der Strecke abkam und schließlich verstarb. Stattdessen nahm seine Mutter Angela die Trophäe entgegen und selbst diese Szene findet sich im Buch wieder.
Juan Manuel Fangio war ein überragender Fahrer seiner Zeit, der mit fünf Weltmeister-Titeln in der Formel 1 lang als uneinholbar galt. Ein Sieg bei der legendären Mille Miglia gelang dem Argentinier zwar nie, aber trotzdem ist er im Buch wieder zufinden unter dem passenden Titel Der ungekrönte König. Weder auf Alfa Romeo noch auf Mercedes-Benz oder Ferrari gelang ihm ein Sieg. Ein weiterer Kandidat ohne Sieg der im Buch vorgestellt wird ist Enzo Ferrari. Der Begründer der italienischen Sportwagenmarke trug aber enorm viel für die Mille Miglia bei und war auch schon vor dem Krieg als Rennleiter bei Alfa Romeo und seinem Rennstall Scuderia Ferrari sehr erfolgreich. Mit dem Rennwagen aus seiner einigen Firma gelangen dann beeindruckende achte Siege in den Nachkriegsjahren. Ständig war er an der Rennstrecke präsent und somit gebührt auch ihm ohne Frage ein Kapitel.
Mit Umberto Maglioli folgt dann eine weiterer, italienischer Fahrer der zwar keinen Gesamtsieg einfahren konnte, aber bei alle Nachkriegsausgaben der Mille Miglia am Start war. Sein bestes Ergebnis war ein zweiter Platz im Jahr 1951 in einem Lancia Aurelia gemeinsam mit Giovanni Bracco. Damit waren sie auch zugleich Sieger ihre Klasse. Und auch 1957 konnte er einen Klassensieg feiern, diesmal auf einem Porsche 550 RS. Somit ist auch Maglioli ein wichtiger Bestandteil in der Historie der Mille Miglia.
Mit Gianni Marzotto wird dann ein Fahrer vorgestellt, der gleich zweimal den Gesamtsieg bei dem 1.600 Kilometer langen Rennens einfahren konnte. Sowohl 1950 als auch 1953 war Marzotto auf einem Ferrari erfolgreich und war in Italien sehr beliebt. Dafür war auch seine stets seine elegante Erscheinung mitverantwortlich und in seinen Rennwagen trug Marzotto sogar maßgeschneiderte Rennoveralls. Er war einer von vier Enkeln von Luigi Marzotto, dem Begründer eines sehr erfolgreichen Textilunternehmens. Er ist auch der Verantwortliche hinter dem einmaligen Ferrari 212 Export mit dem Beinamen Uovo, der vor kurzem beim RM Sotheby’s für 4,5 Millionen Dollar versteigert wurde. Ein weiteres Kapitel blickt auch noch auf seine Brüder, die auch allesamt bei der Mille Miglia am Start waren.
Hinter der Mille Miglia standen im Übrigen vier Männer, die auch als die Musketiere bekannt sind und so auch im Buch vorgestellt werden. Franco Mazzotti, Aymo Maggi, Renzo Castagneto und Flaminio Monti trafen sich bei einem Journalisten der La Gazzetta dello Sport, namentlich Giovanni Canestrini. Hier, so erfährt man auch in einem Artikel aus dem Jahr 1967, wurde der Grundstein zum 1.000 Meilen-Rennen gelegt und das Buch zeigt dann selbstverständlich auch Aufnahmen von den Musketieren bei der Mille Miglia.
Als dritter und gleichzeitig letzter Nicht-Italiener trug sich Stirling Moss in die Siegeslisten der Mille Miglia ein. Dabei konnte beim Rennen im Jahr 1955 auf einem Mercedes-Benz 300 SLR mit einer Zeit von knapp über 10 Stunden die vermutlich nie zu brechendende Rekordzeit erzielen. So erzielte er einen Schnitt von 157,651 km/h und profitierte dabei auch von der akribischen Vorbereitung seinen Beifahrer Denis Jenkinson. So konnte er seinen damaligen Teamkollegen Juan Manuel Fangio um mehr als 30 Minuten auf den zweiten Platz verweisen.
Das Buch ist hiermit aber noch keinesfalls am Ende und folgende Fahrer werden noch vorgestellt: Tazio Nuvolari, Piero Taruffi, Achille Varzi und Gigi Villoresi. Allen gemein ist mindestens ein Gesamtsieg bei der Mille Miglia, wobei Nuvolari und Varzi schon vor dem Krieg erfolgreich waren.
Weitere Kapitel blicken auf die unzähligen Zuschauer, die technische Abnahme und auf einige weitere Fahrer, die auch Teil des berühmtesten italienischen Straßenrennes waren.
Fazit: Ein beeindruckendes Buch, welches seine augenscheinliche Stärke und Masse mit einen beeindruckenden Inhalt füllt. So zeigt sich das legendäre Straßenrennen mit dem Fixsternen Brescia und Rom aus einer besonderen und neuen Sicht. Alle prägenden Persönlichkeiten der Mille Miglia finden sich im Buch wieder und werden mit vielen Aufnahmen porträtiert. Die Basis dazu sind die herausragenden Aufnahme aus dem Archiv von Alberto Sorlini, welches in dieser Form zum ersten Mal im an,gemessenen Rahmen präsentiert wird. Erfreulich ist dabei, dass viele Bilder auch großformatig abgebildet werden und somit auch viele Details im Hintergrund zu erkennen sind. In einigen Bildern kann man sich dabei im wahrsten Sinne des Wortes verlieren. Durch die unterstützenden Bildunterschriften bleiben auch keinerlei Rätsel um den Inhalt der Bilder offen und runden so die bildgewaltige Darstellung sehr gut ab. Dazu sind die zeitgenössischen Berichte aus diversen italienischen Magazinen ein weiteres Highlight und runden die Präsentation der vielen Fahrer perfekt ab.
Die technische Umsetzung ist gelungen und die wenigen Farbaufnahmen werden ebenso gut wiedergegeben wie die vielen Schwarz-Weiß-Bilder. Natürlich sind die Farbaufnahmen somit auch gleichzeitig die optischen Highlights.
Zum Preis von 60 Euro ist das Buch auch aufgrund seiner Masse fair eingepreist und sollte in keinem Regal eines ernsthaften Mille Miglia-Fans fehlen. Die zweisprachige Umsetzung trägt auch dazu bei, dass das Buch international sicher gut verkauft werden kann.
Bibliografie:
Titel: Mille Miglia Portraits
Autoren: Leonardo Acerbi
Umfang: 320 Seiten, hunderte Farb- und Schwarz-Weiß-Fotos
Format: 280 x 300 mm
Bindung: gebunden mit Schutzumschlag
Text: Italienisch/Englisch
Auflage: 06/2017
Preis: 60,00€
ISBN-Nr.: 978-88-7911-673-2
Bestellbar beim Verlag unter: www.giorgionadaeditore.it
Text: Marco Rassfeld
Fotos: Giorgio Nada Editore, Marco Rassfeld
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