Fahrzeuglackierung zwischen 1900 und 1945 – spätestens der Untertitel klärt über den Inhalt des neusten Buches von Karren Publishing auf. Es geht um die Lackierung klassischer Fahrzeuge, die mit den heutigen Lacken in vielen Fällen nur wenig gemein haben. Dies wird bei Restaurationen häufig nicht beachtet und dieses Buch soll zur Aufklärung beitragen.
Das Buch kommt optisch mit einem gelungenen Titel daher, auf dem sich zum einen viele rund Farbfelder befinden, die sich in unterschiedlichsten Farben zeigen. Dazu gesellt sich die stilvolle Silhouette eines klassischen Automobils, neben dem Verlagslogo sowie dem Buchtitel und die Autorin. Die Farbfelder ziehen sich hierbei bis auf den Buchrücken und auch auf der Rückseite findet man diese wieder. Vor allem durch den großen Kontrast zum schwarzen Hintergrund scheinen diese sehr bunt. Auch die zusätzlich aufgebrachte, glänzende Lackierung ist hierfür mit verantwortlich.
Auch nach dem Aufschlagen kann man schnell erkennen, dass die Umsetzung des Buches mit einem besondern Blick auf das Layout gelegt wurde. Zunächst wird der Leser von flächigen bunten Seiten empfangen, die mit einem halbseitigen Rahmen durchaus Erinnerungen an alte Zeiten erwecken können, die zeitlich zum Spektrum des Buches passen. Im dann zu entdeckenden Inhaltsverzeichnis kann man den enormen Umfang und die Unterteilung in viele Punkte entdecken kann.
Mit dem Hintergrundwissen, dass die Ausgangsbasis des Buches die Promotionsschrift der Autorin mit dem Titel »Geschichte, Werkstoffe und Techniken der Fahrzeuglackierung zwischen 1900 und 1945« lieferte, macht dann aber einiges klar. So ist alleine das Quellenverzeichnis hier entgegen fast allen üblichen Büchern zum Thema Automobil vorbildlich umgesetzt. Alleine über 70 Seiten im Anhang beherbergen zum Schluss des Buches die diversen Quellen und die umfangreichen Anmerkungen, welche bei Bedarf eine nochmal deutlich gesteigerte Tiefe liefern können. Die notwendige Integration im Text erfolgt dabei erfreulich zurückhaltend und stört so den Lesefluss keinesfalls.
Mit einem Vorwort und einer Einleitung wird der Leser an den ungewöhnlichen Lesestoff herangeführt, in denen auch auf die Problematik der Quellen eingegangen wird. Gerade in der Automobil-Branche gibt es viele Mythen, die sich nachhaltig festgesetzt haben ohne jemals bewiesen worden zu sein. Ein echtes Problem bei einer ernsthafter Recherche. Im Falle der Lacke konzentriere sich die Autorin dann folgerichtig auch auf die Literatur der Lackhersteller, der Chemie- und auch der Auto-Branche. Hier ließen sich dann doch ausreichend gesicherte Informationen wiederfinden, welche eine Umsetzung der Arbeit und folgerichtig auch des Buches möglich werden ließ.
Zum Start folgt dann noch ein Blick auf die wichtigen Grundlagen zur Lackierung von Automobilen. Hierbei gibt das Buch die Entwicklung in der ersten Hälfte de 20. Jahrhunderts wieder, in denen die Produktion massiv gesteigert werden konnte. Selbst zwei Weltkriege konnten den Siegeszug des Automobils nicht aufhalten, eventuell trugen diese gar dazu bei. Denn schließlich war auch auf dem Kriegsfeld ein schnelles und unabhängiges Vorankommen gefordert. Zu Beginn der Produktion folgte noch der Aufbau der Karosserie nach dem Muster der Kutschen. So kann noch viel Holz zum Einsatz, welches aber recht schnell durch Leder oder Blech ergänzt wurde. Je umfangreicher Karosserien wurden, desto mehr musste man sich mit dem Thema Gewicht auseinandersetzen und da war Holz klar im Nachteil. Im Jahr 1915 stellte schließlich die amerikanische Firma Dodge Brothers Motor Vehicle Company die ersten vollständigen aus Metall gefertigten Karossieren vor. Nach und nach wurde auch die Produktion immer mehr industrialisiert und wandelte sich von der klassischen Handarbeit zur Fleißbandfertigung. Unterschiede zwischen den Entwicklung in Amerika und Europa waren dabei durchaus vorhanden und die Besonderheiten werden einzeln dargelegt. Auch die Entwicklungen in der Chemie-Industrie werden hier schon vorgestellt und zeigen ebenfalls unterschiedliche Entwicklung auf den beiden prägenden Kontinenten.
Zur Geschichte zur Fahrzeugbeschichtung lautet dann die Überschrift zum nächsten Kapitel, welches mit Abstand den größten Platz des Buches vereinnahmt. Zu Beginn wurden die bekannten Anstriche auf Öl-Basis für die Kutschenfertigung übernommen, aber schon bald machte die Verwendung von unterschiedlichen Materialien eine Entwicklung notwendig. Einige Referenzen greifen hierbei auf ein Foto aus dem Archiv von Mercedes-Benz zurück, bei dem gleich sieben Personen augenscheinlich mit der Lackierung eines Chassis beschäftigt sind. Einige Fakten sprechen aber dafür, dass es sich hierbei um ein gestelltes Foto handelt, welches auch im Text dargelegt wird. Neben dem wenigen Platz für jeden einzelnen Arbeiter spricht vor allem die räumlichen Verhältnisse für die Vermutung, dass es sich um ein gestelltes Foto handelt. Denn um eine möglichst widerstandsfähige Lackierung zu erreichen, mussten die betroffenen Teile behandelt werden. Weder für Schleifarbeiten ist der Ort der Aufnahme geeignet und auch die notwendige staubfreie Umgebung zum Auftragen des Lackes ist nicht gegeben. Das Bild ist selbstverstödnlich auch im Buch abgebildet, so dass man sich auch ein persönliches Bild machen kann. Generell finden sich im Buch viele historische Aufnahmen wieder, welche oftmals auch die entsprechende Produktion aufzeigen und so den Leser die damaligen Verhältnisse vor Augen halten kann. Hier lassen sich einige wirklich ungewöhnliche, aber zugleich hochinteressante Abbildungen wiederfinden.
Nach den chemischen Grundlagen zu den ölbasierenden Beschichtungsmaterialien folgt ein Blick auf die Zusammensetzung und Herstellung. Auch die entsprechende Anwendung wird vorgestellt, wobei man hier auch die damals übliche Werkzeuge im Bild entdecken kann. Die sogenannten fetten Öllacke hatte aber auch Nachteile und stießen so schnell an die Grenzen. Als Alternative gab es vor dem ersten Weltkrieg noch Asphalt-Lacke, die vor allem für das klassischen Schwarz bei vielen Oldtimern verantwortlich sind. Neben dem Streichen erfolgte die Lackierung auch als Flutlackierung, welches natürlich auch andere Eigenschaften vom Lack einforderte. Der erste Weltkrieg sorgte dann für einfache Lackierung auf Basis von Kopalharz oder Bernstein, um die hohe Nachfrage an Kriegsfahrzeugen zu decken.
Die Industrie entwickelte sich aber immer weiter und es kamen auch diverse Markennamen wie Tokiol, Duco, Valspar oder Zapon zum Vorschein. Die gesamte Entwicklung der Lacke bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges wird mit einer unglaublichen Tiefe wiedergegeben.
Ein eigenes Kapitel gibt es zum Schluss noch zu den Grundlagen zur Zusammensetzung und Herstellung von Zellulosenitrat-Fahrzeuglacken.
Fazit: Das ein Buch mit einer solche Tiefe sich mit einem Spezial-Thema zum Automobil auseinandersetzt ist ungewöhnlich. Die Doktorarbeit als Grundlagen lässt sich deutlich erkennen, aber der Lesefluss ist dennoch gut. Der Autorin ist es so durchaus gelungen, dass durchaus nicht unbedingt beliebte Thema mitreißend zu beschreiben. Das Buch ist dazu mit einem wirklich guten Layout und Design umgesetzt, welches das Lesen noch angenehmer macht. Dazu finden sich auch viele Bilder im Buch wieder, welche oftmals einen historischen Hintergrund haben und den Inhalt sehr gut ergänzen.
Zum Preis von 89 Euro kann man ein ohne Frage besonderes Buch zu einem besonderen Thema erwerben. In diesem Spezialfall der klassischen Automobil-Lackierung gibt es aber vermutlich keinen besseren Titel und somit ist das Buch das ehrenwerten Prädikat Standardwerk zuzuschreiben. Vollkommen zurecht erhielt der Titel auch mit einem Sonderpreis beim Motorworld Buchpreis.
Bibliografie:
Titel: Kutschenlack, Asphaltschwarz & Nitroglanz – Fahrzeuglackierung zwischen 1900 und 1945
Autorin: Gundula Tutt
Umfang: 410 Seiten
Format: 215 x 240 mm
Bindung: Gebunden
Auflage: 12/2018
Preis: 89,00 €
ISBN-Nr.: 978-3-947060-02-3
Bestellbar beim Verlag unter: www.karren-publishing.com
Text: Marco Rassfeld
Fotos: Daimler, Marco Rassfeld
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