Pioniere des Autodesigns – das waren viele oftmals italienische Karossiere-Betriebe, die in der Vergangenheit das Styling in der Automobil-Welt nachhaltig beeinflussen konnten. Da ist Bertone einer der großen Namen, auf den eine Vielzahl an Prototypen, Einzelstücken, Concept Cars und auch späteren Serien-Fahrzeugen zurückzuführen sind. Im Olms Verlag erschien vor kurzem hierzu ein neues Buch aus der Feder von Roger Gloor.
Der Autor ist vielen sicher ein Begriff, den lange Zeit war er für die schweizerische Automobil Revue aktiv und hat mit der Buchreihe Alle Autos der 19x0er Jahre einige der beeindruckendsten Nachschlagewerke geschaffen. Diese dürfen eigentlich in keinem Buchregal fehlen. Das Bertone-Buch hat Gloor schon 2019 in Eigenregie und limitierter Auflage veröffentlicht. Dies wird nun vom Olms Verlag adaptiert und macht das Buch für einen größeren Kreis verfügbar. Das Buch ist im klassischen Hochformat ausgeführt und wirkt auf den ersten Eindruck erstaunlich dick. Immerhin 324 Seiten gibt der Verlag an und damit blickt man auf die gesamte Schaffenszeit von Bertone zurück. Auf dem schlichten Titel findet sich ein durchaus bekanntes Bild, welches eines der interessantesten Concept Cars von Bertone zeigt. Der Carabo feierte seine Premiere im Jahr 1968 auf dem Salon de l’Auto in Paris und war der Star der Show. Vor dem Wagen kniet Nuccio Bertone, welcher seine Schöpfung genauestens inspiziert. Dazu findet man auf dem Titel noch die üblichen Angaben wie Autor, Titel, Untertitel und Verlag, alles wurde in diesem Fall im schlichten und zurückhaltenden Grau gehalten. Somit wirkt das Buch sehr reduziert und setzt den Carabo und Nuccio Bertone in das Spotlight. Eine partielle Lackierung von Fahrzeug und Bertone-Schriftzug heben diese noch ein wenig hervor, obwohl auch hier die eigentlich notwendige Kontrast zum Hintergrund fehlt. Auf der Rückseite findet sich mit dem Montreal ein weiterer Alfa Romeo wieder, diesmal allerdings im Seriengewand. Dazu liefert der Klappentext einen ersten Eindruck über das Buch, welches auf die Firma Bertone und seine in diesem Buch vorgestellten knapp 320 Modelle eingeht. Die Geschichte der Firma ging von 1912 bis 2014, in dem man endgültig Konkurs anmelden musste. Die Zeiten hatten sich unter dem Druck der großen Automobilherstellern mit eigenen Styling-Abteilungen rasant geändert, so dass die Luft einfach zu dünn wurde.
Nach dem Aufschlagen findet man neben dem Buchtitel auch gleich ein paar Bilder von Fahrzeugen aus unterschiedlichsten Epochen und auch ein Bild mit Giovanni und Nuccio Bertone aus dem Jahr 1961. Der Untertitel Pioniere des Automobildesign würdigt im übrigen auch die Personen, welche beim Design mit beteiligt waren, denn immer war die Realisierung der unterschiedlichsten Projekte Teamarbeit. Bei Bertone gab es so wichtige Personen, welche vorab auch auf einer Bildtafel vorgestellt werden. Hier finden sich berühmte Namen wie Michelotti, Giugiaro oder Gandini wieder, welche auch noch nach ihrem wirken bei Bertone weitere Spuren in der Automobil-Industrie hinterließen. Es folgt ein Überblick über die Marken, für die Bertone Automobile und Ideen umgesetzt hat, gefolgt von einem Inhaltsverzeichnis. Hier finden sich alle 320 Fahrzeuge von Bertone wieder, die im Buch vorgestellt werden. Klassifiziert sind diese nach Dream- bzw. Concept Car, Prototyp und Produktionsmodellen. So erhält man schon hier einen Eindruck der Entwicklung von Bertone, denn die Auflistung ist chronologisch ausgeführt. Das Vorwort nutzt der Autor dann um ein wenig auf das Schicksal der italienischen Karosseriefirmen einzugehen, welche heute in großen Teilen vom Markt verschwunden sind oder in große Konzerne integriert wurden. Nach ein paar Hinweisen und Erläuterungen zu Fachausdrücken und Abkürzung startet schließlich der Hauptteil des Buch.
Ehe aber der unmittelbare Blick auf Bertone fällt, erzählt das Buch noch Vom Wesen der Autoformer und erläutert die geschichtliche Basis der Trennung von Chassis und Aufbau. In den Anfangsjahren des Automobilbaus stellten viele Hersteller den Käufern nur das Chassis und den Motor sowie die notwendigen Kühlaggregate zur Verfügung. Hiermit konnten diese sich dann eine Karosserie nach den persönlichen Vorlieben bei einem Karosseriebauer seiner Wahl herstellen lassen. Natürlich waren die Fahrzeuge zu dieser Zeit noch höchst exklusiv und wurden nur in geringen Stückzahlen produziert. Doch das Automobil sollten seinen Siegeszug noch antreten und diese Standards sich im Laufe der Jahre mit Einführung der selbsttragenden Karosserie ändern sollte.
Zwar kann man schon zu Beginn des Buches einen großen Text-Anteil feststellen, aber mit den generellen Ausführung handelt es sich dann um grobe Übersichten um ein besseres Verständnis für die Umstände zu entwickeln. Das Layout ist hierbei im gesamten Buch in drei schmalen Spalten gewählt, was die vielfältige Platzierung von ergänzenden Tabellen, Anmerkungen aber auch an den vielen Bildern zulässt. Das es sich hierbei um kein Bildband handelt, wird allerdings ebenso schnell klar, wenn man die ersten Seiten betrachtet.
Auf die Entwicklung von Bertone geht das Buch dann natürlich als nächstes ein und setzt den Start im Jahr 1912. In diesem Jahr eröffnete Giovanni Bertone ein kleine Werkstatt südlich des Zentrum von Turin. Hier reparierte und konstruierte er mit seinen Mitarbeitern zunächst noch pferdegezogene Wagen. Die Entwicklung schritt allerdings sehr gut voran, ehe der erste Weltkrieg die Zukunft des Betriebes in Frage stellen sollte. Mit viel Einsatz konnte Giovanni Bertone den Fortbestand sicherstellen und schon 1918 konnte er einen Auftrag für den Automobil-Hersteller SPA akquirieren. Hier lieferte er zunächst Sitzstrukturen und schon bald weitere Teile. Durch die überzeugende Arbeit als Zulieferer konnte Bertone schon 1920 eine größere Werkstatt beziehen und hatten 20 Mitarbeiter in Lohn und Brot. SPA war von der Arbeit Bertone’s durchaus angetan und beauftragte ihn bald mit dem Aufbau von Rennkarosserien. Mit diesen konnte sich SPA vor allem bei den populären Bergrennen Aufmerksamkeit sichern. Dies gilt damit quasi als Geburtsstunde der Karosserie-Firma Bertone.
In den 1920er Jahren entwickelte sich die italienische Automobil-Industrie in einem rasanten Tempo und auch die Nachfrage nach individuellen Modellen war entsprechend groß. Neben der Zusammenarbeit mit SPA konnte Bertone auch für Lancia, für die im Jahr 1921 zunächst Limousinen auf Basis des Kappa entstanden. Mit der Realisierung von Luxuskarosserien nach Art eines Coupé de Ville von Itala im Jahr 1922 konnte Bertone bereits die dritte Turiner Automarke mit seinem Werken ausstatten. Mit immerhin zehn Marken war Turin die Brutzelle der italienischen Automobilhersteller.
Die platzierten Bilder dieser Frühphase von Bertone zeigen einige Modelle und lassen auch einen Blick auf die Unterkonstruktion zu. Auch der Text erläutert die damaligen Produktionsmethoden, bei denen natürlich noch viel Handarbeit zu Grunde lag. Mit Nuccio Bertone war auch der Sohn von Giovanni an den Arbeiten seines Vaters interessiert und sog die Arbeitsabläufe in sich auf. Er war zwar noch nicht unmittelbar in die Firma integriert, aber schon früh konnte man auch sein Talent für künstlerische Formgestaltung erkennen. Ebenso erlebte er so schon die Folgen der Finanzkrise mit, welche schnell auf die Anzahl der Automobil-Hersteller bis 1936 reduzieren sollte, so das in Turin nur noch Fiat und Lancia übrig bleiben sollten. Mit noch jungen 19 Jahren trat Nuccio schließlich in die Firma des Vater ein und die Cabriolet-Version des Fiat 508 Balilla galt als sein erstes eigenständiges Werk. Die Automobile entwickelten sich zu dieser Zeit immer deutlicher von den kastenmäßigem Aufbau der Pferdekutschen weg und die Karosserien wurden deutlich rundlicher. 1934 bezog Bertone erneut neue Werkshallen und konnte hier schon 150 Mitarbeiter beschäftigen. Mit Mario Revelli die Beaumont trat auch erstmals ein externer Autodesigner in die Dienste von Bertone, denn schnell spielte die Aerodynamik eine nicht zu verachtende Rolle. Dieser war aber nicht ausschließlich für Bertone im Einsatz, sondern schuf auch Arbeiten für Pinin Farina, Viotti und Castagna um nur einige Kunden zu nennen. Mit dem Aufbau für einen Fiat 527 S Ardita schuf er für Bertone ein beachtlich zukunftsträchtiges Design mit vielen interessanten Details. Anhand der vielen Abbildungen kann man die Entwicklung der Karosserie-Kunst erkennen, während die Texte allerhand Details zu den Modellen und auch den notwendigen Entwicklungen erzählen können. Während des zweiten Weltkriegs wurde auch Bertone dazu gezwungen wichtige Güter aus Sicht der Regierung herzustellen und entstanden zahllosen Aufbauten für LKW’s und auch Ambulanzen auf Basis von Lanica Artena und Fiat 1100 L wurden von Bertone realisiert.
Das bis hierhin noch nicht einmal 30 Seiten des über 300 Seiten starken Buches beschrieben wurde, zeigt die Komplexität welche hier geboten wird. Das Buch lässt den Leser am Text förmlich hängen und es fällt schwer die Geschichte zu unterbrechen. Auch für die Mailänder Luxusmarken Alfa Romeo und Isotta Fraschini lieferte Bertone beeindruckende Modelle und setzte seine Künste nach dem Ende des Krieges beeindruckend fort. Nuccio stand in den Jahren 1947 bis 1952 bei zahlreichen Rennveranstaltungen am Start und nutzte hierzu natürlich auch interessante Rennwagen auf Basis von Fiat- oder Stanguellini-Modellen. Bei den Straßen-Modellen kam im Laufe der Zeit immer mehr die Ponton-Form in Mode und man verabschiedete sich von den angedeuteten Kotflügeln. Mit Giovanni Michelotti war auch ein weiterer, freischaffenden Designer für Bertone aktiv der diese Phase begleiten sollte. Die Szene der Autodesigner in Turin in der 1950er Jahren war mit 12 im übrigen sehr beachtlich, Konkurrenz war also im großen Maße vorhanden.
Um einen schnellen Überblick im Buch zu behalten, ist im übrigen auf jeder Seite angegeben aus welchen Jahren die Modelle und Entwicklungen auf der Seite stammen und auch die beteiligten Designer werden hier angegeben. Hierdurch und durch die chronologische Aufarbeitung im Buch kann man schnell auch die Epoche finden, welche für den Leser interessant ist. Nach und nach erweiterte sich auch die Anzahl der Marken für die Bertone Entwürfe anfertigte. So war man schon in den Anfangsjahren auch für Ferrari aktiv und konnte Healey, Arnolt oder Borgward ebenfalls helfen. Mit dem BAT 5 schuf Bertone dann das erste Dream Car, welches keinerlei Chance auf eine Fertigung haben sollte. BAT stand für Bertone Aerodinamica Tecnia und die Zahl 5 erweckte den Eindruck, das dies schon der fünfte Entwurf war. Franco Scaglione hatte hiermit sein Meisterwerk auf Basis eines Alfa Romeo 1900 Sprint-Chassis geschaffen, welches international für Aufmerksamkeit sorgen sollte. Die Idee wurde in den folgenden Jahre mit zwei weiteren BAT-Modellen weiterentwickelt und wurde immer serienfreundlicher.
Neben den reinen Modellen zeigen die Text übrigens auch immer wieder die technischen Entwicklung auf und zum Schluss kann man unter anderen noch das Museum besuchen und erhält im Nachgang noch viele weiterer, tiefergehende Informationen zu unterschiedlichsten Themen rund um Bertone.
Fazit: Als einer der bekanntesten Betriebe der italienischen Karosserie-Kunst gilt Bertone auch heute noch. Das Angebot der Bücher ist dabei durchaus hoch, aber der im hier vorliegenden Titel Tiefgang ist sicher unerreicht. Die umfangreichen Texte liefern viele Informationen zu Menschen, Modellen und allgemeinen Entwicklungen, während die reiche Bebilderung diese gekonnt untermalt. Mit 320 gezeigten Modellen aus der Feder der berühmtesten Automobil-Designer der Geschichte lassen sich unglaublich viele Highlights entdecken. Hier alleine ein beispielhafte Auswahl zu nennen ist faktisch unmöglich. Somit kann der Leser mit viel Tiefgang alles über Bertone erfahren und wird das Buch sicher an einer prominenten Stellen im Bücherregal platzieren. Auf fürs schnell Nachschlagen eignet sich dies im übrigen sehr gut.
Zum Einführungspreis von 68 Euro ist das Buch nur noch 2020 erhältlich, während der Preis ab dem 2021 um 20 Euro steigt. Somit können die schnellen Käufer beachtlich sparen, wobei auch der höhere Preis für die umfangreiche Arbeit mehr als gerechtfertigt ist. Alle, die sich auch nur grob für Automobil-Design oder -Geschichte interessieren sollten in jedem Fall zuschlagen.
Bibliografie:
Titel: Bertone – Pioniere des Autodesigns
Autor: Roger Gloor
Umfang: 324 Seiten, über 1.200. Abbildungen, davon 720 in Farbe
Format: 217 x 305 mm
Bindung: Hardcover
Auflage: 09/2020
Preis: 68,00 €, ab dem 1. Januar 2021: 88,00 €
ISBN: 978-3-487-08632-3
Bestellbar beim Verlag unter: www.olms.de
Text: Marco Rassfeld
Fotos: Karissa Hosek ©2019 Courtesy of RM Sotheby’s, Olms Verlag, Marco Rassfeld
Eine Antwort auf „Buch – Bertone“
[…] Titel der erhältkich war und folgte auf dem Buch über Zagato. Weitere sollten noch folgen wie Bertone, Ghia, Pininfarina und Vignale – von diesen findet sich auch hier eine Vorstellung wieder. So […]