Die Motorisierungswellen bis 1939 – die Entwicklung des Automobils war gerade in den ersten Jahren sehr spannend und brachte auch so manch interessante Wendung. Dabei war es nicht nur die Technik oder das Design, welche sich an die neuen Möglichkeiten anpassten. Vielmehr das gesamte Umfeld musste zu großen Teil neu erfunden werden. Im Olms Verlag ist nun ein Buch erschienen, welches sich um die Anfänge der Automobilgeschichte in Deutschland dreht …
Das Buch ist kein klassisches Autobuch, bei dem viele Bilder im großen Format wiederzufinden sind. Die Darstellung ist fast schon wissenschaftlich angehaucht und so wurde auch das Buch gestaltet. Die Größe ist daher recht kompakt aber keinesfalls klein. Auffallend ist in jedem Fall sofort der enorme Umfang. Mit 560 Seiten bietet das Buch der reichen Geschichte ausreichend Platz.
Das Titelbild zeigt eine Zeichnung eines Horch, der rasant über das Buch zu fahren scheint. Die Zeichnung ist im damals üblich Stil gehalten und kann auch mit einer gelungenen Farbgebung punkten. Der Buchtitel zeigt sich in einem Block und nimmt diese Farben auf, so dass sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Der Autor und der Verlag finden sich ebenfalls noch wieder und selbstverständlich auch der Untertitel. Der Buchrücken ist dann in einem passenden Blau umgesetzt und die Farbfläche zieht sich bis auf den Rücken. Der Klappentext gibt schon einen ersten Eindruck der Inhalte wieder. Hier findet sich und auch der Hinweis, dass sich viele Entscheidungen im Laufe der Jahre immer wieder wiederholen. Dies geht bis in die heutige Zeit, wenn man die aktuelle Wahl des Antriebes zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor verfolgt.
Das Buch hat nach dem Aufschlagen noch eine kleine Überraschung parat, denn auf dem Vor- sowie dem hinteren Nachsatz finden sich frühe Automobile von insgesamt 48 deutschen Herstellern wieder. Diese wurden allesamt frontal fotografiert und geben eine tollen Eindruck in die Anfangsjahre der Automobile. Die Vielfalt der Marke suchte damals ihresgleichen.
Im Vorwort geht der Autor zunächst auf seine Vita ein, denn auch er kann schon auf reichlich Erfahrung als Automobil-Buch-Autor zurückblicken. Auch zum legendären Typ 650 verfasste er unter anderem ein Buch. Oder beim Buch zur Strom-Linien-Form war er für einzelne Kapitel verantwortlich. Somit setzte er seinen Fokus immer auf die zum Teil längst vergangenen Ereignisse. Daher kennt er sich im Bezug auf intensive Recherche-Arbeit hierzu auch sehr gut aus. Die Quellen waren zwar vorhanden, aber die Informationen sehr verstreut und nur schwerlich zusammenzutragen. Dies inspirierte Kirchberg zu dem nun vorliegenden Buch, in dem alle wichtigen Einflüsse durch das Automobil in Deutschland zu finden sind. Das er sein erstes Buch bereits von einem halben Jahrhundert veröffentlichte, daran erinnert Kirchberg noch in den Worten des Dankes. Hierbei erinnert er auch an seinen damaligen Co-Autor Peter Gränz, der inzwischen verstorben ist.
Das Inhaltsverzeichnis gibt dann einen ersten Eindruck auf die Struktur des Buches. Sicher werden hier schon viele beeindruckt sein von der Anzahl der Kapitel, Unterkapitel und Zwischenüberschriften. Aber die Abbildung der drei Motorisierungswellen teilt sich chronologisch in drei Zeitstränge, wobei der erste von 1870 bis 1918 führt. Dann folgt die Zeit von 1919 bis 1932 und schließlich die letzten Jahre von 1933 bis 1939. Schnell kann man in Inhaltsverzeichnis verschiedene Begriffe entdecken, welche sowohl die Technik, die Konkurrenz oder auch die wirtschaftlichen Einflüsse berücksichtigt. Dabei sei hiermit nur ein kleiner Teil genannt, denn die Tiefe des Buches ist eigentlich kaum zu fassen.
Doch startet das Buch mit einer Einleitung, welche die ersten Gehversuche des Menschen mit dem Automobil darstellt. Dabei darf natürlich nicht der Dampfwagen des Franzosen Nicolas Cugnot fehlen, der bis heute als erster Vorläufer des Automobils gilt. Schon auf der ersten Seite zeigt das Buch, dass Bildmaterial verwendet wird und auch schon mal recht großformatig platziert wird. Das generelle Layout ist in einer Spalte umgesetzt, welche aber gelungen durch eine Marginalspalte unterstützt wird. Dies sorgt zum Einen dafür, dass die Breite der Spalte noch gut lesbar bleibt und zum Anderen wird die Marginalie genutzt um Quellenangaben oder Erläuterungen zu platzieren. Somit ist der Text für einen optimalen Lesefluss vorbereitet und Feinheiten finden sich dazu passend am Rand. Auch die Bildunterschriften finden sich im übrigen in der Marginalie wieder mit dem passende Verweis auf die Position des Bildes auf der entsprechenden Doppelseite.
Alles auf Anfang – Kraftfahrzeugtechnik in den Kinderschuhen lautet dann die Überschrift zum zweiten Kapitel des Buches. Hier wird als Grundlage der Motorisierung die damaligen Motoren und deren Technik vorgestellt. Diese waren oft schon im stationären Einsatz und dementsprechend auch schon etabliert. Auch auf Details wie dem Vergaser, die Ventile und Schieber geht das Buch sehr gut ein und legt die damaligen Möglichkeiten und Entwicklungen offen. Doch entscheidet war zur Motorisierung die erforderliche Kraftübertragung auf die Räder und Reifen sowie natürlich auch die erforderliche Lenkung und auch die Bremsen.
Der Weg von der Kutsche zum Automobil war noch weit und man orientierte sich zunächst vor allem an den bekannten Techniken aus dem Kutschenbau. Die Bedienung erforderte aber natürlich diverse neue Ideen und so war die Bedienung der ersten Automobile auch recht kompliziert. Gerade zu Beginn herrschte auch noch ein Wettlauf der Antriebe, welche für das Automobil am besten passen sollte. So gab es den Dampfantrieb, die Elektroenergie und die Verbrennungsmotoren, welche sich um die Zukunft stritten. Für alle Antriebe gab es Vor- und Nachteile und die mögliche Schritte der Weiterentwicklung waren zu dieser Zeit natürlich entscheidend.
Der Automobilbau war noch eine Kunst für sich und viele Hersteller hatte die Basis in einer einfachen Werkstatt. Die Herstellung eines Automobile umfasste noch viele handwerkliche Schritte und erforderte geschickte Arbeiter. Dabei galt es schon bei der Auswahl der Materials seine Eigenschaft für seinen bestimmtem Zweck optimal einzusetzen. Schnell zeichnete sich ab, dass die nun zu Fabriken gewordenen Werkstätten immer mehr Arbeitskräfte benötigten um die Automobile herzustellen. Auch zu solchen Details finden sich im Buch einige, wertvollen Informationen wieder.
Im gesamten Buch sind zur Darstellung unterschiedlichster Sachverhalte diverser Diagramme und Tabellen wiederzufinden. Sicher wird hier kaum ein Leser ein Detail vermissen. Dennoch ging der Bestand der Automobile in Deutschland recht schleppend voran. Dies lässt sich vor allem mit dem hohen Export an Fahrzeugen aus deutscher Produktion erklären. Durch die unterschiedlichen Schutzzölle auf Automobile aus dem Ausland, waren diese in der Anschaffung in Deutschland verhältnismäßig teuer. Diesem Niveau glichen sich auch die deutschen Hersteller an, während die Export-Modelle in anderen Ländern im Vergleich deutlich günstiger waren. Hiervon profitierte vor allem der Bestand in Großbritannien, die vergleichsmäßig niedrige Zölle auf ausländische Automobile erhoben.
Auch die Lastwagen und die Eisenbahn sind im gesamten Buch immer wieder im Vergleich zu dem Automobil zu finden. Später dann auch die Busse, welche vor allem dem etablierten Verkehrsmittel der Eisenbahn Konkurrenz machen sollten. Dennoch war schnell klar, dass die individuelle Mobilität eines Automobils nicht zu ersetzen war. Natürlich waren auch Motorräder und Fahrräder sehr beliebte Verkehrsmittel, aber diese boten nicht den Komfort eines Automobils. Somit war der Siegeszug des Automobils schon schnell vorherbestimmt, aber es musste noch einige Hürden überspringen um sich endgültig zu etablieren.
Das Buch liefert hierzu einen umfassenden Blick auf wirklich alle Parameter, welche die Motorisierung in Deutschland durch das Automobil vorantreiben sollte. Dazu kann das Buch auch mit einer tollen Bebilderung glänzen und bringt dem Leser mit zeitgenössischen Aufnahmen die Umgebung der frühen 1900er Jahre näher. Auch Karten von Verkehrszählungen oder Werbeplakate der Hersteller oder Zulieferer sind hierbei zu finden.
Fazit: Dieses Buch dürfte sich zum unverzichtbaren Werk über die Frühgeschichte des Automobils in Deutschland entwickeln. Mit unglaublichen Tiefgang erhält man zu allen denkbaren Einflussparametern der automobilen Entwicklung in Deutschland umfassende Erläuterungen. Dazu ist das Buch mit einer Vielzahl an Verweisen an verwendete Literatur für viele Interessierte vermutlich erst der Anfang zur weiteren Recherche. Durch die gelungene Gliederung des Textes in kurze, aber ungemein prägnante Abschnitte ist der Text sehr gut lesbar und man findet auch schnell die gesuchten Fakten. Die Bilder und Grafiken lockern das Buch dabei auf und liefern zugleich weitere, interessante und nicht weniger wertvolle Informationen.
Zum Preis von knapp unter 50 Euro wird jeder automobilgeschichtlich Interessierte sicher zuschlagen. Der gebotene Inhalt ist kaum zu überbieten und die Darstellung ist dabei betont sachlich und spiegelt zugleich die damaligen Verhältnisse gut wieder.
Bibliografie:
Titel: Automobilgeschichte in Deutschland – Die Motorisierungswellen bis 1939
Autor: Peter Kirchberg
Umfang: 560 Seiten
Format: 190 x 250 mm
Bindung: Hardcover
Auflage: 12/2021
Preis: 48,– €
ISBN-Nr.: 978-3-487-08642-2
Bestellbar beim Verlag unter:
www.olms.de
Text: Marco Rassfeld
Fotos: Ulms Verlag, Daimler AG, Marco Rassfeld